Donnerstag, 10. Februar 2011

"Jean Charles", ein Film über London, Brasilianer und Terror

Heute war ich am Abend bei einer Veranstaltung in New York, die von One to World für New Yorker Fulbrighter organisiert wurde. Es war eine Filmvorführung von "Jean Charles", einem Film, dessen Drehbuch von einem Fulbrighter geschrieben wurde, der in New York an der Columbia Film Studies studiert.

Der Film basiert auf einer wahren, tragischen Begebenheit. Er erzählt die Geschichte von Jean Charles de Menezes. Jean Charles war ein brasilianischer Einwanderer in London, der als Elektriker arbeitete und 2005 von der Londoner Polizei erschossen wurde, weil er mit einem Terroristen verwechselt wurde, der am Tag zuvor versucht hatte, eine Bombe in der U-Bahn zu zünden. Das Ereignis ist damals um die Welt gegangen - ich kann mich noch erinnern, dass ich darüber gelesen habe und etwas in den Nachrichten gesehen habe. Spiegel Online und die FAZ haben zum Beispiel darüber berichtet.

Bei der Vorführung war der Autor Marcelo Starobinas anwesend und hat anschließend unserer Runde von ungefähr 20 Fulbrightern aus aller Welt erzählt, wie der Film entstanden ist, und wir konnten Fragen stellen. Marcelo kommt selbst aus Brasilien und hat zehn Jahre lang in London als Auslandskorrespondent für brasilianische Zeitungen und für BBC gearbeitet. In dieser Zeit hat er viel über Brasilianer in London berichtet. Als dann der Regisseur Henrique Goldmann einen Drehbuchautor für "Jean Charles" gesucht hat, war Marcelo genau der Richtige, weil er schon viele Leute kannte und für die Recherche gut Zugang zu Bekannten und Familie von Jean Charles finden konnte.

Es war sehr spannend, zuerst einen Film zu sehen und dann vom Autor selbst zu erfahren, was eigentlich alles an Arbeit dahintersteckt. Und auf welche Hindernisse man zum Beispiel stößt. Zum Beispiel hat Marcelo gesagt, dass er nie gedacht hätte, dass man als Filmschaffender so viel mit Anwälten zu tun hat. Bei der Darstellung er Szene, in der die Polizei Jean Charles erschießt, mussten sie sich ganz genau an das halten, was aus den Polizeiberichten hervorgeht, weil sie sonst ganz leicht verklagt werden könnten. Und als der Film fertiggestellt war, wollten der Regisseur und Marcelo ihn den Eltern und der Schwester von Jean Charles zeigen, bevor er in die Kinos kommt. Zur Vorführung sind dann aber nur die Mutter und die Schwester gekommen, weil der Vater Herzprobleme hat und die beiden den Film zuerst sehen wollten, um dann zu beurteilen, ob der Vater ihn sehen soll oder nicht.

Besonders gefreut hat den Autor und den Regisseur, dass der Film in Brasilien und bei der Familie von Charles sehr gut angekommen ist. Auch auf dem Toronto Film Festival wurde er gezeigt und das ist sicher auch nicht gerade einfach, da aufgenommen zu werden. Interessantes Detail: In Großbritannien wurde der Film bisher noch nicht in Kinos gezeigt.

Außerdem hat Marcelo erzählt, dass er zuerst von BBC gedrängt wurde, die Geschichte zu einem Gerichtsdrama zu verarbeiten, das sich auf die Untersuchungen nach dem Tod von Jean Charles konzentriert. Er und der Regisseur wollten aber einen ganz anderen Film daraus machen, und das ist er dann auch letztendlich geworden. Der Film erzählt hauptsächlich die Zeit davor, und man erfährt viel aus dem Leben der Brasilianer in London. Sie suchen Arbeit, verlieben sich, sind erstaunt, weil ein Neuankömmling aus ihrem Dorf in Brasilien seine Freundin zurückgelassen hat und auf einmal schwul ist, gehen nostalgisch zu einem Konzert von einem brasilianischen Sänger, der seine besten Zeiten längst hinter sich hat, und bauen sich langsam ein neues Leben in London auf. Der Film ist voller Leben und schöner kleiner Momente. Umso tragischer wirkt es dann, wie der unschuldige Jean Charles eines Morgens erschossen wird, als er einfach nur auf dem Weg zur Arbeit ist.

Der Film ist sehr bewegend und hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Über Misstrauen gegenüber Fremden, Überwachung und Bürgerrechte und Freiheit im "Krieg gegen den Terror". Ich kann den Film wärmstens empfehlen! Noch mehr Eindrücke vom Film gibt der Trailer.

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